Steipe - Heiliger Paulus

Mitte-Gartenfeld, Stadt Trier Hauptmarkt 14

Beschreibung
Heilige Bürger einer Stadt.
Gleich zu Beginn des Besuches des stadtgeschichtlichen Museums Simeonstift fällt eine Skulpturengruppen aus Kalkstein auf. Anhand ihrer Attribute sind die vier Stadtheiligen schnell als Jakobus, Helena, Petrus und Paulus identifiziert. Sie sind mit einer Höhe von 1,17m ungewöhnlich klein, wirken jedoch durch den kraftvollen Faltenwurf ihrer weiten Gewänder, ihrer Haltung, unterschiedlichen Gesten und dem ernsten, realistischen Gesichtsausdruck sehr lebendig und menschlich. Wer mag hier Modell gestanden haben?

Vor allem der Heilige Paulus mit seiner gedrungenen Gestalt, den langen gelockten Haaren, fein ziselierten Bart und recht spitzen Nase erinnert mit entspanntem Gesichtsausdruck eher an einen Gelehrten. Ein dickes Buch mit zwei schönen Schnallen trägt er erhaben vor seiner Brust, seine Hand ist feingliedrig, mit der rechten hält er ein Schwert wie einen Gehstock. [Bilder 3, 4 und 5]

Der Heilige Paulus gilt als Lehr-Apostel und wurde als Patron der 1473 gegründeten Universität von Trier gewählt - die Heiligenfiguren sind um 1483 entstanden, geschaffen vom Bildhauer „Meister Steffann“ für das Bürgerhaus der Stadt. Die STEIPE, direkt am Hauptmarkt gelegen, hatten die Bürger als Rathaus, Fest- und Empfangshaus 1430 erbaut und galt als Gegenpol der herrschenden kirchlichen Institution und bot selbstbewusst dem gegenüberliegenden Dom die Stirn. Dieses Gebäude wurde nach vollständiger Zerstörung durch den Krieg, 1970 originalgetreu wiederaufgebaut. Die geretteten Heiligenskulpturen, wie auch zwei 1,97m große Wächterfiguren in Rüstung, sind im Stadtmuseum aufbewahrt - es ist ein Schatz, diese mittelalterliche Bildhauerkunst hautnah erleben zu können. Es fällt in der Betrachtung auf, dass die Proportionen durch den zu großen Kopf im Verhältnis zur kleinen Körpergröße unstimmig wirken - tatsächlich hat der Bildhauermeister darauf geachtet, dass seine Figuren, die am Gebäude der Steipe zwischen den Spitzbogenarkaden in ca. 4m Höhe vorgesehen sind, je nach Perspektive realistisch wirken mussten. Dies kann man vor Ort am Hauptmarkt nachvollziehen und vergleichen. An der Ostfassade sind Skulpturenkopien angebracht und den mittelalterlichen Originalfarbtönen nachempfunden, jedoch überrascht die Wirkung der Farbenpracht. [Bilder 1 und 2] Wir sind in unserer heutigen Sehweise und Wahrnehmung mit den farblosen Steinfiguren vertrauter als mit der bunten Originaloptik. Sie wirken dadurch weniger würdevoll, puppenhaft, und passen doch im Gesamtkonzept zu dem Gebäude der spätgotischen Bauweise und zum Stadtzentrum.

Ideengeber von Heiligenfiguren und Apostel als Wandschmuck kennen wir von Eingangsportalen der Kirchen. Die Entwicklung von einer steifen, säulenartigen Figur in der Romanik bis hin zur freistehenden, sich bewegenden Skulptur kann man an vielen Kirchenfassaden ablesen. Hierzu bietet sich auch die Ansicht des Figurenportals der nahen gotischen Liebfrauenkirche in Trier an, welche Kopien nach Originalen und Neuschöpfungen zeigt. In den Kirchenfassaden verzichtet man generell auf das Nachempfinden der ehemaligen mittelalterlichen Farbgebung, weshalb monochrome Statuen zum gewohnten Bild gehören.

Die lebendige Bildsprache von „Meister Steffann“ kommt so im Museum Simeonstift wunderbar zur Geltung. Seine Kunst lädt ein, mehr über seine Zeit und Geschichte zu erfahren - vor 540 Jahren sind seine Skulpturen entstanden, authentische Zeitzeugen – sie erinnern an ein aufstrebendes Bürgertum und die Konfrontation mit der Kirche: Die bereits erwähnten Ritterfiguren gelten als Gegensymbol zur kirchlichen Herrschaft und beanspruchen bzw. verteidigen die städtische Freiheit.

Eine Neubesinnung findet statt. Das Buch, welches der heilige Paulus stolz, einem Philosophen gleich, vor seinem Herzen hält, verweist somit höchstwahrscheinlich auch auf ein Umdenken, auf wissenschaftliche Neuentdeckungen und den beginnenden Humanismus in Deutschland. Der Buchdruck wurde um 1450 erfunden, in zahlreichen Universitäten, von Bologna, Paris bis Oxfort wurde gelehrt, geforscht. Antike Urtexte wurden wiederentdeckt.

Mit der beginnenden Renaissance entsteht ein neues Menschen- und Weltbild und auch der Kunstmarkt verändert sich - nicht nur die Kirche ist nun Auftraggeber und fördert die Kunstentwicklung, sondern auch Stadt und Adel vergeben Aufträge und gewinnen so an Bedeutung. Der Mensch selbst gewinnt an Bedeutung.

Der Bildhauermeister „Steffann“ hat sich ein Zeichen gesetzt und auch der Malermeister „Heynrich“ - wie die bemalten Skulpturen damals tatsächlich ausgesehen haben, kann nur nachempfunden werden - Neu ist: Die beiden Namen sind überliefert. Sie waren keine anonymen Handwerker zur Gestaltung der Steipenfassade, sondern, sie sind als Künstler in die Geschichte eingegangen. [1]

Einordnung
Ersteller, Baumeister, Architekt, Künstler:
"meister Steffann" (Bildhauer) und "meister Heynrich" (Maler).
Kategorie:
Bau- und Kunstdenkmale / Wirtschaft, Gewerbe und Verkehr / Versorgung, Gasthöfe, Hotels
Zeit:
1483
Epoche:
Gotik

Lage
Geographische Koordinaten (WGS 1984) in Dezimalgrad:
lon: 6.641007
lat: 49.756819
Lagequalität der Koordinaten: Genau
Flurname: Ortslage

Internet
https://bettinaghasempoor.com/

Datenquellen
© Bettina Ghasempoor, Trier, 2024.

Bildquellen
Bild 1: © Bettina Ghasempoor, Trier, 2024.
Bild 2: © Bettina Ghasempoor, Trier, 2024.
Bild 3: © Bettina Ghasempoor, Trier, 2024.
Bild 4: © Bettina Ghasempoor, Trier, 2024.
Bild 5: © Bettina Ghasempoor, Trier, 2024.

Stand
Letzte Bearbeitung: 11.02.2024
Interne ID: 53069
ObjektURL: https://kulturdb.de/einobjekt.php?id=53069
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