Ehemaliges Lazarett in der Sankt-Joseph-Schule

Heute: Seniorenzentrum Sankt Josef
Gerolstein, Stadt Gerolstein Raderstraße 9

Beschreibung
Menschlichkeit inmitten aller Zerstörung.

Um Decknamen sind Militärs nie verlegen. So hieß die Ardennen-Offensive, die am 16. 12. 1944 begann und mit einer Zerstörung ohnegleichen für Eifel und Ardennen endete, verharmlosend "Wacht am Rhein". Hierbei erhielt auch ein junger Amerikaner, 1924 in New York geboren, seine Feuertaufe. Zwei Jahre zuvor, als 18-jähriger noch auf dem College, ließ Murray Schwartz sich im Sog des massenhaften Exodus der Freiwilligen mitreißen. Sie hatten nicht die geringste Ahnung von Krieg, dem Leid und Chaos, das dieser mit sich führt. Von patriotisch verbrämten Nachrichtenmeldungen beeinflusst, wollten sie ihr Vaterland schützen. Murray Schwartz war sich mit den anderen Jungen sicher, dass sie das - weiß Gott - auch konnten.

Die Realität holte ihn aber rasch ein. Sie fand ihn in einem Dreckloch im Wald in der Nähe von St. Vith, schon 3 Tage unter Beschuss, eingekesselt von den Deutschen, frierend und hungrig, in schlimmster seelischer Verfassung. Viele seiner Kameraden waren bereits tot. Und wie schrecklich sie starben! Zu diesen Schockerlebnissen kam am 4. Tag seine eigene Verwundung und Gefangennahme. Schwartz kam nach Schaumburg. Dort war notdürftig ein OP von deutschen Ärzten eingerichtet. Nach der Versorgung deutscher Soldaten kamen die amerikanischen Gefangenen an die Reihe.

Der deutsche Arzt besah sich Schwartz Erkennungsmarke nur kurz. Dann tat er, etwas für ihn Unverständliches. Er nahm ihm die Marke ab und heftete ihm stattdessen ein Krankenblatt an die Uniformjacke. Schwartz war innerlich empört, blieb aber stumm aus Angst. Die Deutschen, vielmehr die "Krauts", waren seine Feinde. Und Feinde taten doch nur Böses.

Nach erfolgter Operation erfuhr er, dass er für einen Gefangenentransport nach Deutschland designiert war. Schlimmer hätte es für ihn nicht kommen können! Er war nicht nur Gefangener. Er war verwundet und er war Jude.
Als Jude nach Nazideutschland! Sein sicheres Todesurteil. Jeder kann seine Religion von seiner "dog tag" ablesen. Plötzlich war ihm klar, der deutsche Arzt hatte ihm ohne Worte gleich zweifach geholfen.

Fahrzeuge für Transporte nach Deutschland gab es nicht. Nicht einmal für Frischoperierte. Alle mussten zu Fuß gehen. Oder besser gesagt, sie schleppten sich jetzt zu Fuß voran. Durch weites kriegsverwüstetes Terrain, das unter ständigem Beschuss lag und bombardiert wurde. Zu Hause waren sie an alle Arten ziviler Bequemlichkeiten, wie Autos, gewöhnt. In bitterster Kälte, in von Schützengräben verdreckten Uniformen gingen die, denen daheim ihr tägliches Bad im zentralgeheizten Haus Normalität war. Hungrig und durstig gingen sie tagelang, die in USA selbst den kleinsten Hunger rasch und bequem im Schnellimbiss an der Ecke mit Hamburgers und Coke stillten. Gedemütigt, im Gefangenstatus gingen sie, von on all den Ungewissheiten und Ängsten Gefangener aller Zeiten geplagt. Wo sie doch daheim von Kindheit an gelehrt wurden, dass für Amerikaner alles machbar ist. Sie beherrschen jede Situation, sind geborene Sieger, sie sind die Guten und die Mutigen. Amerika, so sangen sie überzeugt und voll Inbrunst in ihrer Nationalhymne ist ja "die Heimat der Tapferen". So kämpften sie sich, zu deren Uniform die Krawatte gehörte, durch Dreck und Schneekälte immer weiter,durch das zertrümmerte menschenleere Prüm bis Gerolstein. Ziel dort war der notdürftig eingerichtete Verbandplatz in der St. Joseph-Schule. Der war jedoch ganz von deutschen Verwundeten belegt. Die lagen auf dem Fußboden. Für die amerikanischen Verwundeten wurde im Zeichensaal, hoch unter dem Dach, eine Reihe neben den Deutschen bereitet. Wo sie nun, gleich denen, auf den Bodendielen lagen. Nur mit einer dünnen Decke bedeckt. Zitternd vor Kälte. Zitternd vor Angst. Angst vor den Deutschen direkt neben ihnen. Angst vor Nazis, wo immer sie waren, die leicht an ihnen hätten Rache üben können für die schlimmen Zerstörungen, die sie unterwegs gesehen hatten. Vor allem aber fürchteten sie ihre eigenen Bomben, die wie sie wussten, nach den großen deutschen Städten, nunmehr die kleinen einäschern würden. Und genau da lagen sie nun völlig schutzlos, wo kein Stein mehr auf dem anderen bleiben sollte.

Versorgt wurden die Verwundeten in der St Joseph Volksschule in Gerolstein von Helferinnen des Deutschen Roten Kreuzes. Schwartz traute seinen Ohren nicht, als eine Deutsche ihn in englischer Sprache, und dazu noch höflich und freundlich ansprach. Diese erkannte rasch die besondere Notlage des jungen Amerikaners. Bald brachte sie ihm eine zweite Decke von zu Hause mit. Und das, obwohl ihr Elternhaus von Bomben getroffen war. Immer wieder nahm sie sich Zeit ein gutes tröstendes Wort an Schwartz zu richten. Der Amerikaner sah sie helfen, egal ob es deutsche oder amerikanische Verwundete waren. Er fand ihre Art bemerkenswert. Er fragte nach ihrem Namen, prägte ihn sich ein.

Am nächsten Tag war Weihnachten. Darum kamen um die Mittagsstunde Gerolsteiner Frauen mit Kindern. Sie brachten den Verwundeten ein Weihnachtsbäumchen und etwas selbstgemachtes Gebäck. Plötzlich heulten Sirenen auf. Der gefürchtete Bombenalarm. Wer fortrennen konnte, rannte. Schwerverletzte konnten sich nicht von der Stelle rühren. Die Gerolsteinerin, die das Tannenbäumchen mitgebracht hatte, blieb bei ihnen. Sie schmückte es tapfer weiter und ahnte dabei wohl, dass die Augen der hilflosen Verwundeten auf sie gerichtet waren. Jetzt senkten sich, unter furchtbarem Getöse die Liberator Bomber und lösten die Bombenfracht für Gerolstein. Das Notlazarett wurde getroffen. Es erschütterte bis in die Grundmauern und brach mit entsetzlichem Krachen auseinander. Schwartz sah noch, wie die Frau mit dem Tannenbäumchen in die Tiefe gerissen wurde. Beim nächsten Treffer auf die Schule, deren Dach mit zwei großen roten Kreuzen auf weißem Grund markiert war, stürzte auch Schwartz mit anderen nach unten. Vier Stockwerke tief. An diesem Tag, Heiligabend 1944, warfen US Amerikaner insgesamt 175 Tonnen Bomben auf Gerolstein.

Schwartz überlebte. Zwar trug er zahlreiche neue Blessuren davon. Aber er hatte wieder einmal Glück. Er wurde ausgegraben und in den Kinosaal des Hotels zur Linde verlegt. Nachdem jedoch beim nächsten Angriff, wenige nur Tage später, dieses Hotel getroffen wurde, kamen die Gefangenen in die Drahtfabrik Oos in der Lindenstraße. Bald gingen auch dort Bomben nieder. Jetzt waren fast alle Gebäude zerstört, man wusste keinen anderen Ort Gefangene sicher zu verwahren. Sie kamen in einen Eisenbahnwaggon. Alle, die sich halbwegs bewegen konnten, wurden zum Freiräumen der Eisenbahngleise nach Angriffen eingesetzt.

Eines Tages hieß es, Gehfähige könnten ins Gefangenenlager Limburg. Gefährlicher, als ungeschützt im zerstörten Gerolstein weiteren Bombenangriffen ausgesetzt zu sein, konnte es dort nicht werden. Schwartz entschied sich für Limburg. Mit 57 anderen gefangenen Amerikanern machte er sich an jenem kalten Wintertag auf den Weg. Sie empfingen ihre Marschration:
Ein halbes Brot, ein Pfund Pferdefleisch. Dann gingen sie los, über Welling bei Mayen und Montabaur. Alle hofften Limburg zu erreichen, einige schafften es nicht. Sie waren an der Ruhr erkrankt und starben in Koblenz. Der erste Übernachtstop war in Dockweiler gewesen. Schwartz fand in der HJ-Baracke, in der sie schliefen, eine Wehrmachtsdecke. Die riss er entzwei, gab einem Kameraden die Hälfte. Sie zogen Fäden heraus und nähten sich einfache Kapuzenumhänge, die ihnen beim Januar-Marsch Kopf, Schultern und Rücken warm hielten. Die Deckenteile erlaubten beiden, sich nachts Stiefel und Socken auszuziehen und sich die Füße mit den Stücken zu trocknen und zu wärmen.
In Welling liefen den Gefangenen freundliche Nonnen mit Essen entgegen. Die Wachen ließen keine Hilfe zu, trieben sie zurück. Nachts aber verschafften sich einige mutige Wellinger doch Zugang zu den Gefangenen. Sie steckten ihnen heimlich Brot und Kartoffeln zu. Dabei erzählten sie von einem verrückten amerikanischen Maler, der einmal in Welling gewohnt und gemalt hatte. Sie versuchten sich an ein paar englischen Wörtern, die sie wohl noch von den Amis aus dem 1. Weltkrieg kannten. Das wurde so komisch, dass alle lachen mussten. Eine kleine hilflose aber sehr menschliche Geste, die Schwartz nie vergaß.

Nach vielen Strapazen erreichten sie ihr Ziel in Limburg. Erst im April 1945 wurde dieses Gefangenenlager von den Alliierten befreit. Schwartz kam nach England in ein Krankenhaus, wo seine Verwundung endlich heilte. Erst am 11. Juni 1945 war er wieder daheim bei den Eltern in Amerika.

Diese Kriegserlebnisse ließen den US Amerikaner nie los. Obwohl er inzwischen beruflich Karriere gemacht hatte und eine Familie gründete. Er erinnerte sich an Welling und er gab Care-Pakete in Auftrag. Über 50 Stück dieser heißbegehrten Pakete gingen zum Verteilen über den Atlantik an den Pfarrer von Welling. Für die Hilfe, die seine Pfarrkinder den Gefangenen damals gewährten. Schwartz suchte die Rote Kreuz-Helferin, C. M., in Gerolstein. Sie war inzwischen verheiratet und trug einen anderen Familiennamen. Aber das war kein Hindernis für ihn. Er fand sie. 1947 nahm er Briefkontakt zu ihr auf. 1973 kam Murray Schwartz das erste Mal, seit jenen schlimmen Kriegstagen, begleitet von seiner Frau, nach Europa. Schwartz erster, sicherlich schwerster Gang, war der Weg zu den Gräbern seinen gefallenen Kameraden auf dem Friedhof Henry-Chapelle in Belgien.

Danach fuhr er, ungläubig staunend, durch das ehemalige Kampfgebiet. Er sah das wiedererstandene Prüm. Er verglich seine Erinnerung mit dem was er nun vor sich sah. Auf säuberlich geteerter Straße fuhr er nach Gerolstein. Auch in diesem Städtchen erinnerte nichts mehr an die Schrecken und die Zerstörung von damals. Er fuhr über die seither gebaute neue Brücke. Er sah hinunter auf die Bahngleise, auf die Stelle, wo einst der Gefangenen-Waggon gestanden hatte. Kurz darauf stand er vor der St. Joseph-Schule, aufgeregt seiner Frau berichtend, was sich hier Heiligabend 1944 zugetragen hatte. Aber, wie sollte er jemand, der nie den Wahnsinn eines Krieges im eignen Land miterlebt hat, nie eine derartige Zerstörung gesehen hat, an einem intakten Gebäude erklären, was dort einmal Schreckliches geschehen war?

Von der Schule fuhren sie zu der Frau, deren freundliche Worte in Englisch, Murray Schwartz als Gefangener über so viel Angst hinweggetröstet hatten. Es wurde eine herzliche Begegnung. Immer wieder kamen neue Details zu den Erinnerungen hinzu. Es dauerte nicht lange nach diesem Besuch, da kam eine herzliche Einladung aus Amerika. Ein Flugticket lag dabei. Mehrere Male besuchte die Gerolsteinerin Familie Schwartz, die ihr die schönsten Plätze an der Ostküste Amerikas zeigte. Und immer wieder zog es den ehemaligen Gefangenen, der inzwischen Großvater geworden war, zu der Ecke Belgiens und Deutschlands, wo er die schlimmsten Zeiten seines Lebens verbracht, überlebt, hatte.

Auch 1994 kam er. Diesmal kam er nicht, wie sonst, im Sommer, er kam im Dezember. Jetzt waren es genau 50 Jahre, seit jenen schrecklichen Kriegsereignissen, die ihn geprägt hatten. Mit seinem geleasten Auto fuhr er alle Stationen ab. Von Schaumburg über Prüm nach Gerolstein bis hin nach Limburg. Ein schwerer Weg war es. Ein Kreuzweg, der bei seinen gefallenen Kameraden in Belgien begann, auf deren Gräber er Blumen nieder legte. Sie hatten nie die Chance eine eigene Familie, eigene Kinder zu haben, wie er. Aber in Gerolstein erwartete ihn auf dem Rückweg eine Überraschung, junge amerikanische Soldaten am gedeckten Kaffeetisch bei uns.

Ein Filmteam vom Amerikanischen Flugplatz Spangdahlem hatte erfahren, zu welchem Weg sich der ehemalige US Soldat, ein früherer verwundeter Gefangener, 50 Jahre danach, aufgemacht hatte. Sie wollten ein Interview aufnehmen und hatten eine Menge Fragen an Schwartz aber auch an seine damalige Helferin vorbereitet. Die vorgefertigten Fragen ließen Raum zu der Vermutung, dass die Einsichten über Krieg, wie er sich in seiner unbeschreiblichen Schrecklichkeit über Militär und Zivilisten auswirkt, die der ehemalige Gefangene schmerzhaft gewonnen hatte, nicht bei den jungen ahnungslosen Soldaten, auch nur andeutungsweise vorhanden waren. Das fiel nicht nur Frau Eis, auch ihren anwesendenden Familienangehörigen auf, die auch den Bombenkrieg überlebt hatte. Das spürte auch Schwartz.
Um einen Schlusssatz gebeten, betrachtete er darum lange und nachdenklich, aber auch sehr traurig den höflichen, adretten Offizier der US Air Force. Dieser erinnerte ihn zu sehr an seine eigene anfängliche Soldatenzeit und registrierte alles nacheinander, die schnittige dunkelblaue Air Force Uniform, das blonde kurzgeschnittene Haar bis zu den schwarzen Lackschuhen dann sagte er mit bewegter Stimme:
"Einst zog ich.... als unwissender Junge in den Krieg.... kam als …..alter Mann heim.... Ach, könnte ich doch, Euch Jungen, nur ohne all die körperlichen und seelischen Schmerzen – heute und hier all meine Erfahrungen übertragen!"

Das Bild zeigt Murray Schwartz, er trägt seine Veteranenkappe. Im Hintergrund sieht man die Sankt-Joseph-Schule, wo er vor 50 Jahren im Zeichensaal, also direkt unter dem Dach, als Verwundeter lag und in den Keller stürzte. In der Mitte ist seine Tochter Penny, die ihn begleitete, denn Murray hatte nur wenige Monate vorher eine schwere Herzoperation durchgemacht, daneben stehe ich.

Murray, der ein guter Freund meiner Familie wurde, besuchte uns jedes Jahr. Einige Jahre zuvor kam er in Begleitung von Martin E. Andrucki Professor für Theater am Bates College in Lewistown, Maine. Dieser interviewte uns über unsere Kriegserinnerungen und begleitete Murray zu den diversen Orten seiner Gefangenschaft. Danach schrieb er ein "Play" für sein Theater, über Murrays Erfahrungen als Gefangener.

Unser guter Freund Murray Schwartz starb wenige Monate nach seinem letzten Gerolstein-Besuch. Vorher hatte er mich noch einmal mit schwacher Stimme angerufen: "Wilma, schreib mir noch mal einen Deiner guten Briefe!" Das tat ich sofort, schweren Herzens, denn ich wusste was kam. [1]

Als 7 1/2-jähriges Kind habe ich, so wie meine gesamte Familie den furchtbaren Bombenangriff auf Gerolstein, in der Sankt-Joseph-Schule wohnend, den Heiligen Abend 1944 körperlich unbeschadet überlebt. Doch heute noch, seit nunmehr 79 Jahren, glaube ich jedes Jahr beim Anzünden der vierten Adventskerze den Schwefelgeruch, der am frühen Nachmittag des Heiligen Abend 1944 über dem zerstörten Gerolstein lag, zu riechen. Dieses fürchterliche Kindheitserlebnis werde ich wohl nie vergessen können. 1937, am Schalkenmeerener Maar geboren, werde ich doch wohl ein Leben lang ein Gerolsteiner bleiben. [2]

Einordnung
Kategorie:
Bau- und Kunstdenkmale / Krankenhäuser / Lazarette
Zeit:
1944
Epoche:
20. Jahrhundert

Lage
Geographische Koordinaten (WGS 1984) in Dezimalgrad:
lon: 6.658799
lat: 50.221751
Lagequalität der Koordinaten: Genau
Flurname: In der Held

Internet
http://www.gerolstein.de/

Datenquellen
[1] © Wilma Herzog, Gerolstein, 2013.
[2] Walter Wesendahl, Waldfeucht-Haaren, 2023.

Bildquellen
Bild 1: © Erwin Schöning, Gerolstein, 2004.

Stand
Letzte Bearbeitung: 16.12.2023
Interne ID: 26212
ObjektURL: https://kulturdb.de/einobjekt.php?id=26212
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