Ehemaliges Internat Albertinum

Gerolstein, Stadt Gerolstein Feldstraße 5

Beschreibung
M. Hopman, ein Drogist, hatte 1927 das Hotel Dolomit erbauen lassen. Wegen den beiden Rundtürmchen wurde es scherzhaft auch "Busen-Villa" genannt. Als man nach dem Krieg im stark zerstörten Gerolstein dringend Räumlichkeiten für ein Internat suchte, fiel die Wahl auf das Hotel Dolomit. Es ging am 1. Dezember 1946 in den Besitz des Bischöflichen Stuhles in Trier über. Es wurde zu einem Internat umgebaut und erhielt den Namen "Albertinum".

Mit einem Handwagen auf Operntournee

Als erstmals nach dem Krieg, am 5. Januar 1946, eine Aufnahmeprüfung für Sextaner stattfand, war mein Bruder morgens mit der ersten Schicht der Büscheicher Sprudelarbeiter zu Fuß nach Gerolstein unterwegs. Es lag tiefer, unberührter Schnee. Die Männer rieten dem Jungen, in ihrer Spur zu gehen. So stapfte der Zehnjährige hinter ihnen in großem Tempo daher und versuchte mit ihren langen Schritten mitzuhalten. Tiefste Dunkelheit herrschte, denn nur der erste Mann leuchtete mit einer Karbidlampe. Aber Karl Peter trug ja seine 7-Meilenstiefel, die ihn über einige Jahre begleiten sollten, viel zu große US Soldaten-Stiefel, die mit den beiden Schnallen am Schaft.

Heutige Schulkinder, die selbst innerorts schon mit Bussen oder Pkws zu und von der Schule chauffiert werden, würden sich wundern, über diese zwei Stunden währenden täglichen Fußmärsche, die mein Bruder bei jedem Wetter absolvierte, wie so manche anderen Kinder, die aus entfernt liegenden Dörfern kommend, sich eine bessere Schulbildung am Gymnasium erhofften. Dafür wurde auch Schulgeld erhoben. Man war, so kurz nach dem schrecklichen Krieg - bereit und fähig - große Opfer für eine bessere Schulbildung zu bringen. Auch damals hatten Schüler meist ein Pausenbrot dabei, aber sonstige Verpflegung, gar Trinkbares für unterwegs, wie das heute so üblich ist, kannte man nicht. Man trank sich einfach später zu Hause am Wasserhahn satt.

Diesen ersten harten Winter war der kleine Junge unterwegs in einem dünnen Turnanzug aus Baumwolle, heute würde man den auf "neudeutsch" mit "sweat suit" bezeichnen und niemand käme auf die Idee, damit ein Kind in die Winterkälte zu schicken. In der Notzeit hatte man nichts Besseres. Außer der Stoffjacke, aus einer gewendeten alten Herrenjacke genäht, war seine restliche Bekleidung aus Wolle, von unserem Schaf. Unsere Mutter hatte sie gesponnen und verstrickt zu Pullover, Mütze und Handschuhen.

Die Schichtarbeiter kamen mit meinem Bruder gut in Gerolstein an, hier konnte er sich endlich aufwärmen. Er saß mit anderen, die nun bald in doppelter Weise schwitzen sollten, vor "den kleinen schriftlichen Aufgaben aus dem Lehrstoff des 3. Schuljahres". Durch den langen kriegsbedingten Schulausfall bestanden aber nur 25 von 40 Angemeldeten diese Prüfung. Mein Bruder gehörte zu den Glücklichen, die bestanden. Aber nur deshalb, weil der alte Rektor Martin Krock an ein paar Nachmittagen vorher, langsam am Stock gehend, von Michelbach, wo er wohnte, zu uns nach Büscheich gekommen war.
Zwei Zimmer bewohnten wir dort, als wir Heiligabend 1944, nach der Bombardierung Gerolsteins, obdachlos geworden waren. Wir hatten jedoch das Glück gehabt, ein Schaf und die Ziegen zu retten und ein Kartoffelfeld bepflanzen zu können. Kartoffeln, Schafwolle und Ziegenmilch waren die begehrte Währung, die Rektor Krock für den Vorbereitungsunterricht meines Bruders erhielt.

So waren die Lebensumstände, als einen Tag nach der Sextanerprüfung die Lehranstalt für 161 Jungen und 55 Mädchen ihre Pforten öffnete. Die Räume im früheren Hotel Dolomit waren extrem eng, es fehlte an fast allem, an Lehrbüchern, Heften, Bleistiften, Landkarten (weil die alten Grenzen nicht mehr galten), Kreide, sogar an Fensterscheiben. Es mangelte auch an Brandholz, denn Kohlen waren nirgends zu beschaffen. Also griffen Lehrer und Schüler zur bewährten Selbsthilfe und suchten auf der Munterley Holz und fällten Bäume, nach dem Motto des Lehrers Peter Enders:
"Solange noch ein Baum in der Eifel steht, frieren wir nicht!"
Den 79 Jungen und 5 Mädchen des Internates wurden zum Frühstück "Muckefuck", natürlich schwarz zum bitterschmeckenden Maisbrot serviert. Mittags gab’s Haferbrei und immer wieder die weißen Rüben, die als Viehfutter angebaut waren.

Das kann so nicht weitergehen, entschieden eines Tages der frühere Kaplan von Daun und jetzige Heimleiter Pfeiffer und Lehrer Enders. Sie hatten eine Idee, die mangelhafte Verpflegung der Kinder aufzubessern. Mit den Schülern übten sie Humperdincks Märchenoper "Hänsel und Gretel" ein und zogen per Handwagen mit ihren selbstgefertigten Requisiten über die Dörfer. Jeden Samstag und Sonntag gaben sie Vorstellungen - gegen Naturalien. Die Theaterkarten hießen nicht Loge und Parkett, sondern Hafer, Brot, Butter, Kartoffeln usw.
So kam die Schauspielertruppe auch zu uns nach Büscheich. Mit großer Begeisterung wurde sie erwartet und begrüßt. Gegen den Eintrittspreis von 5 Pfund Kartoffeln sahen meine Geschwister und ich im Saale Kaltenberg, zum ersten Mal im Leben, ein Theaterstück.
Diesen Luxus muss man sich vorstellen: überall sah man noch Trümmer, bittere Not herrschte in den meisten Familien, es gab weder Kinderbücher noch sonst etwas zur Abwechslung und Erbauung, selbst kleinste Kinder waren ernst geworden durch die ständige Konfrontation mit der Not der Erwachsenen, den einzelnen Tag zu überstehen.

Inmitten all der Trostlosigkeit verzauberten - für einige glückvollen Stunden - diese selbst notleidenden Kinder und Jugendliche durch ihre Kunst, vor allem durch ihren wundervollen Gesang, uns Zuschauer alle, ob groß oder klein; Stunden der Normalität inmitten all des Unnormalen. Sie schenkten uns das Glück, sich noch einmal so richtig von Herzen freuen zu dürfen. Sie gaben unserer Phantasie langentbehrte Nahrung. Das haben wir so empfunden und dafür haben wir damals lange applaudiert. Doch abgehakt und vergessen ist es nicht. Der damalige Applaus war einfach nicht genug. Darum nutze ich diese Gelegenheit, heute darüber zu berichten und danke allen Spielern für diese wunderbare Bereicherung unserer Herzen durch die Aufführung der Märchenoper "Hänsel und Gretel".

Später fuhr das Gerolsteiner Theaterensemble schon weit luxuriöser - mit einem Holzvergaser - der mehr Platz bot als der Handwagen, auch für die Spieler selbst nebst den erworbenen Lebensmitteln. Dem Buch "75 Jahre Höhere Schule" sind einige dieser Informationen und Fotos entnommen. Auf Seite 72 heißt es:
Als die Versorgungslage sich gebessert hat und auch die Einrichtung zufriedenstellend ist (S.69 informiert über das Mobiliar eines Klassenzimmers:
...Zwei flachgelegte Weinkisten und ein darüber gelegtes Brett ergeben eine Sitzbank, zwei hochkant gestellte Weinkisten plus Brett einen Tisch...), wird gegen Geld gespielt, um den Bau einer Kapelle zu finanzieren...

Diesen letzten Satz sollten wir angesichts des heutigen Anspruchdenkens mancher Jugendlicher zweimal lesen. Die von damals kauften keine Sportgeräte oder Musikinstrumente ein, an denen es ganz gewiß auch bitter mangelte. Es galten eben ganz andere Wertmaßstäbe, die in der weiteren Schilderung auf S. 72 noch heute Wirkung zeigen:
...Dass die erlebte Not zusammenschweißt, beweist die Tatsache, dass die Abschlussklassen der Jahre 1946 bis 1948 bis in die Gegenwart enge Kontakte miteinander pflegen und mehr oder weniger regelmäßige Klassentreffen veranstalten - ganz anders als die Kinder der späteren Wohlstandsgesellschaft, die ihre Mitschüler oft nach wenigen Jahren nicht mehr kennen.... [1]

Einordnung
Kategorie:
Bau- und Kunstdenkmale / Bildungsstätten / Schulen
Zeit:
1927
Epoche:
20. Jahrhundert

Lage
Geographische Koordinaten (WGS 1984) in Dezimalgrad:
lon: 6.65844
lat: 50.22566
Lagequalität der Koordinaten: Genau
Flurname: Ortslage

Internet
http://www.gerolstein.de/

Datenquellen
[1] Wilma Herzog, Gerolstein, 2014.

Bildquellen
Bild 1: © Ewald Steiger, undatiert. Sammlung Wilma Herzog, Gerolstein.

Stand
Letzte Bearbeitung: 18.11.2020
Interne ID: 35954
ObjektURL: https://kulturdb.de/einobjekt.php?id=35954
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