Stolperstein für Karl Heinz Scheurer
Wittlich, Stadt Wittlich Trierer Landstraße 64
Beschreibung
Der Kölner Künstler Gunter Demnig hat das Projekt Stolpersteine ins Leben gerufen. Damit wird der Opfer des Nationalsozialismus gedacht.
Im Hof der Justizvollzugsanstalt Wittlich. Inschrift:
HIER INHAFTIERT
KARL HEINZ SCHEURER
JG. 1916
VERHAFTET 1937
GEFÄNGNIS WITTLICH
EINGEWIESEN 1940
HEILANSTALT DÜREN
VERLEGT 1.4.1940
HEILANSTALT WALDHEIM
ERMORDET 16.4.1941
Im Januar 2009 beantragte die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Wittlicher Stadtrat, Stolpersteine in der Stadt zu verlegen. Einige Monate später wurde dieser Antrag zurückgezogen, da der Fraktion zufolge keine vernünftige Debatte möglich gewesen sei. Auch weitere private Initiativen, Stolpersteine auf Eigentum der Stadt zu verlegen, blieben erfolglos. Am 22. Februar 2014 verlegte Demnig in Anwesenheit des rheinland-pfälzischen Justizministers Jochen Hartloff zwei Stolpersteine auf dem Hof der Justizvollzugsanstalt Wittlich, deren Grund dem Land Rheinland-Pfalz gehört. Initiiert wurde die Stolpersteinverlegung in Wittlich auf dem "Boden" des Landes Rheinland-Pfalz im Frühjahr 2014 nach jahrelangen Vorbereitungen von der Georg-Meistermann-Gesellschaft, Wittlich, nachdem es keine Möglichkeiten gab, diese auf dem Grund der Stadt Wittlich zu verlegen. [1]
Karl-Heinz Scheurer wurde am 9. Februar 1916 in Koblenz geboren. Seine Eltern trennten sich nach dem Ende des Ersten Weltkrieges 1918 und verließen Koblenz. Seinen Vater sah Karl-Heinz nicht mehr. Als er sechs Jahre alt war, verschwand auch die Mutter aus seinem Leben. Bei ihrer Auswanderung mit einem anderen Mann nach Ohio (USA) wollte sie ihren Sohn eigentlich mitnehmen. Doch Karl-Heinz blieb zurück im Haushalt bei seiner Großmutter in Koblenz, die das Sorgerecht über ihn bis zum Ende seiner Schulzeit behielt. Nach dem Abbruch einer Schlosserlehre und mehreren Diebstählen stellte die Jugendfürsorgebehörde 1931 den gerade erst Fünfzehnjährigen unter „staatliche Obhut.“ Als „Fürsorge-Zögling“ erlitt Scheurer in den Heil- und Jugendpflegeanstalten Solingen (1931-32), Waldbröl (1932-37), Andernach (Dezember 1937), Düren (Frühjahr 1938 u. Frühjahr 1940) und Waldheim (April 1940) die aus aktuellen Studien bekannten Drangsale eines Heimkindes seiner Zeit. Für die Anstaltsleiter war dieser Junge nichts weiter als „der typische Fürsorgezögling, dumm und frech in seinem Benehmen, aber zu lenken, wenn er fest angefasst wird“ (August 1934, Aktennotiz). Scheurers angeblich „angeborener Schwachsinn“ erschien ihnen allein wegen seiner zerrütteten Familienverhältnisse als zweifelsfrei erwiesen: „Ehe der Eltern geschieden, Vater lebt mit einer polnischen Frau, die Mutter hat einen Amerikaner geheiratet“, lautet eine diesbezügliche Aktennotiz (1932). 1935 veranlasste das Erbgesundheitsgericht Koblenz nach Anzeige des Heimleiters von Waldbröl gegen Scheurer die Zwangssterilisation. Bei der Operation durch seinen Anstaltsarzt (14.10.1935) erlitt er schmerzhafte Wund-„Vereiterungen“. Beinahe allwöchentlich musste der als aggressiv und sexuell übergriffig beschriebene Scheurer extrem gewaltsame Disziplinarmaßnahmen über sich ergehen lassen, unter anderem Zwangs-Ruhigstellen im Bett und Zwangsinjektionen von Beruhigungsspritzen. Bei einem endlich erfolgreichen seiner mehrfachen Ausbruchsversuche entwich Scheurer im Winter 1937 aus Waldbröl. Auf seiner vierwöchigen Flucht beging er in Koblenz einen Einbruchdiebstahl und belästigte eine Passantin sexuell. Nach seiner Verhaftung (17.12.1937) und der anschließenden Zwangseinweisung in Andernach verurteilte ihn das Landgericht Bonn am 26. August 1938 wegen „Notdiebstahls und versuchter Notzucht zu einer Gesamt-Gefängnisstrafe von einem Jahr und sechs Monaten“.
Zur Verbüßung seiner Strafe kam Scheurer am 27. August 1938 in die Strafanstalt nach Wittlich. In Anrechnung seiner Bonner Untersuchungshaft war die Haftzeit bis zum 27. Januar 1940 berechnet. Die auf jenen Termin zielende Hoffnung Scheurers auf baldige Rückkehr in die Freiheit erfüllte sich nicht. Gleich nach seiner Haftentlassung nahmen ihn zwei Polizeibeamte in Gewahrsam und brachten ihn mit einem Dienstwagen zur weiteren Anstaltsverwahrung zurück nach Düren. Beim Wiedereintritt in die Heil- und Pflegeanstalt erklärte Scheurer, mehr aus Gehorsamspflicht denn aus Überzeugung, „er sei froh, dass er wieder hier sei.“ Unterwegs hätte „er sich vorgenommen, sich hier sehr zusammenzunehmen, damit er nicht zeitlebens festgehalten werde.“ Für die Zeit nach seiner Entlassung könnte er sich vorstellen, „zum Militär zu kommen, jedenfalls sei er schon zweimal gemustert worden.“ Der Anstaltsarzt aber verwarf diesen Gedanken an eine mögliche Resozialisierung sogleich. In dem von ihm geführten Aufnahmeprotokoll bestätigte er Scheurers aktennotierten „früheren Befund“ über seinen angeblich „angeborenen Schwachsinn“. Mit diesem Erbkrankheitsbefund war Scheurers Schicksal besiegelt. Am 1. April 1940 fuhr ihn ein Sammeltransport mit 150 anderen Pflegepatienten nach Waldheim (Sachsen), der Zwischenanstalt der Tötungsanstalt Brandenburg-Görden. Mit einem weiteren Verlegungstransport kam Scheurer am 16. April 1940 in Brandenburg-Görden an. Er starb – wahrscheinlich noch am Einlieferungstage – in der anstaltseigenen Gaskammer. [2]
Einordnung
Ersteller, Baumeister, Architekt, Künstler:
Demnig, Gunter; (Künstler) Berlin [*1947]
Kategorie:
Geschichte /
Marken und Male /
Stolpersteine Zeit:
22.02.2014
Epoche:
21. Jahrhundert
Lage
Geographische Koordinaten (WGS 1984) in Dezimalgrad:
lon: 6.880702
lat: 49.977562
Lagequalität der Koordinaten: Genau
Flurname: Ortslage
Internet
https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Liste_der_Stolpersteine_in_Wittlich
Datenquellen
[1] Die Liste der Stolpersteine in Wittlich führt die vom Künstler Gunter Demnig verlegten Stolpersteine in der rheinland-pfälzischen Kreisstadt Wittlich auf, die an das Schicksal jener Menschen erinnern, die im Nationalsozialismus ermordet, deportiert, vertrieben oder in den Suizid getrieben wurden.
[2] Pressemitteilung JVA Wittlich vom 06.02.2018 https://jvawt.justiz.rlp.de/presse-aktuelles/detail/gedenktafel-zur-erinnerung-an-zwei-inhaftierte-der-jva-wittlich-waehrend-des-2-weltkrieges-die-dem-ns-regime-zum-opfer-fielen
Bildquellen
Bild 1: © Helmut Bauer, Trier, 2024.
Bild 2: © Helmut Bauer, Trier, 2024.
Stand
Letzte Bearbeitung: 19.09.2024
Interne ID: 42855
ObjektURL:
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