Sankt Jost - Siechenhaus

Biewer, Stadt Trier Biewerer Straße 2

Beschreibung
Wo Klingelfrau und Hofmann regierten

Das Haus neben Sankt Jost am Ortseingang von Biewer war einst die letzte Heimstadt für unheilbar Kranke

Von unserer Mitarbeiterin
GABRIELA BÖHM


BIEWER. Die Krankheit war im Mittelalter in Europa weit verbreitet, die Diagnose gefürchtet: Lepra. Um ein Ausbreiten zu verhindern, hatte fast jede Stadt ein Siechenhaus für die sogenannten Aussätzigen. So auch in Biewer, wo bei der Kapelle Sankt Jost das Siechenhaus und der Pestfriedhof lagen.
Heute rauschen täglich rund 14 000 Fahrzeuge an der kleinen Kapelle Sankt Jost vorbei, die nahe der Bundesstraße 53 am Ortseingang von Biewer steht. Bis in die 60er Jahre diente das kleine Gotteshaus noch als Wallfahrtskapelle. Seinen Namen hat es vom Heiligen Sankt Jodokus. Erbaut wurde Sankt Jost im frühen 18. Jahrhundert, finanziert mit Almosen, die zwei aussätzige junge Frauen gesammelt hatten - sie wurden bei Sankt Jost begraben. Hinter der Kapelle befand sich das Siechenhaus. Es steht heute noch dort - es wurde allerdings mehrfach umgebaut und verändert.
Wenn Lepra diagnostiziert wurde, kam das einem bürgerlichen Tod gleich. Die Aussätzigen wurden von Familie und Gesellschaft getrennt und in das Siechenhaus geschickt, das einen Vorläufer der späteren Hospize darstellt. Die Betroffenen erhielten dadurch den düsteren Status von lebendigen Toten. Nach der Trennung folgte die Aussegnung des Leprakranken in der Kirche - ein Ritus mit Grabgesängen und Friedhofserde wie bei einem Toten. Der Leprakranke erhielt den Aussätzigen-Hut und eine bestimmte Ausstattung, unter anderem die Klapper, mit der er vor sich warnen sollte. Ein schreckliches Schicksal: Das Leben der Infizierten wurde in der Siechenhütte von Armut und Isolation, von starren Statuten und Hausordnungen bestimmt. Hinweise darauf finden sich schon in dem ältesten Dokument - den Statuten des Abtes Heinrich von Sankt Mergen für Sankt Jost aus dem Jahr 1448. Darin ist beispielsweise festgelegt, dass ein Aussätziger, der trotz Verbotes heiratete, das Haus sofort verlassen musste und sein Anrecht auf Versorgung verlor.

Gepflegt wurden die Kranken in Biewer von einem Hofmann, der in dem Siechenhaus wohnte. Dort konnten sich die Kranken tagsüber aufhalten, sie wohnten aber in separaten Hütten neben dem Haus. Der Hofmann bewirtschaftete auch die wenigen Ländereien, die zu Sankt Jost gehörten. Dazu gehörten ein Weinberg und ein Kastanienwäldchen.

Haupt-Einnahmequelle für das Siechenhaus in Biewer, das unter der Seelsorge der Benediktinerabtei Sankt Marien stand, waren aber die Almosen. Dazu diente ein Bildstock zwischen Biewer und Pallien, an dem die Passanten Lebensmittel für die Bedürftigen abstellten oder Geld in eine Opferbüchse warfen. Mit Hilfe eines Klingelmannes oder einer Klingelfrau erhielt das Siechenhaus weitere finanzielle Unterstützung: Ausgestattet mit einer Hotte und einer Klingel gingen sie an bestimmten Tagen und in vorgeschriebenen Sammelbezirken von Tür zu Tür, um Geld oder Lebensmittel zu sammeln.

Wann das Siechenhaus errichtet wurde, ist nicht bekannt. Urkundlich erwähnt wird es erstmalig im 13. Jahrhundert. In dieser Zeit taucht auch das zweite Siechenhaus beim heutigen Estricher Hof zwischen Trier und Konz in den Urkunden auf.

Ob die Kapelle Sankt Jost auf dem Fundament einer noch älteren Kapelle steht, ist nicht nachgewiesen. Auf dem Pestfriedhof bei Sankt Jost, im Volksmund auch Paradies genannt, fanden die Siechen nach ihrem Tod die letzte Ruhestätte. Wann der letzte Leprose in Biewer starb, ist nicht bekannt. Im 18. Jahrhundert verschwand der Aussatz in Europa, und im Siechenhaus wurden andere unheilbar Kranke aufgenommen. Unter der Herrschaft Napoleons wurden 1806 die Siechenhäuser Estrich und Sankt Jost und drei weitere Hospitien zu den Vereinigten Hospitien in Sankt Irminen zusammengeschlossen

Noch heute sind das ehemalige Siechenhaus Sankt Jost und die Kapelle Eigentum der Vereinigten Hospitien. 1988 wurde eine Interessengemeinschaft zur Rettung von Sankt Jost e. V. in Biewer gegründet. 1994 unterzeichneten der Verein und die Vereinigten Hospitien einen Erbpachtvertrag mit dem Ziel, die Kapelle zu sanieren.

[Gabriela Böhm in: Trierischer Volksfreund vom 19.02.2003]



Topographische Lage: Nördlich von Trier, am linken Moselufer unmittelbar vor der Ortschaft Biewer.

Urkundliche Ersterwähnung: 1283 in einem Vermächtnis.

Gebäude: Ein Hauptsiechenhaus, mehrere kleine Wohnstätten, eine Kapelle und ein Friedhof.

Kapelle: Patron der Kapelle war der heilige Jodocus (Sankt Jost). 1706: Die Kapelle wurde in ihrer heutigen Form neu erbaut und geweiht.

Insassen: In der Regel wurden nur Einheimische aufgenommen. 1458: 3 Insassen.

Verwaltung: Das Leprosorium unterstand der Abtei Sankt Marien; geistliche Aufsicht durch deren Abt, weltliche Aufsicht durch den Amtmann von Pfalzel. Verwaltung vor Ort, Bewirtschaftung des Grundbesitzes und Verpflegung der Kranken durch den Schellenknecht.

Stiftungen und Schenkungen, Einkünfte und Besitz: 1316: 2 Vermächtnisse in Höhe von 5 und 10 solidi. 19. Februar 1380: Vermächtnis in Höhe von 10 Pfund trierischer Denare. Juni 1448: Almosensammlung in der Kirche durch den Kaplan und Erlaubnis zur Aufstellung eines Almosentisches vor der Kirche; 1482/83: 1 Malter Korn vom Sankt Jakobs-Hospital. 1591: Aufnahmegebühr 12 Taler, 1737 Erhöhung um 1 gute Kuh oder ersatzweise 5 Gulden. Außerdem mußten zur Aufnahme ein Essen ausgerichtet und jedem Insassen 3 Albus gezahlt werden. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts bestanden folgende jährlichen Einkünfte und Renten: Ölzins im Werte von 24 Albus, 1 Malter Korn vom Sankt Jakobs-Hospital, 1 Schweinskopf vom Kloster Oeren sowie monatlich 8 Albus von Bernkastel und 1 Brot vom Deutschhaus. Grundbesitz: ein Kastanienwäldchen und ein Weinberg (Ertrag: 8 Ohm) beim Haus, eine Wiese im Biewertal (Ertrag: ca. 3 Fuder Heu) und ein Weinberg bei Ruwer. Kurz vor der Weinlese durften die Leprosen Almosen sammeln; sie erhielten so ca. 1-1 &.12 Ohm. Zusätzlich sammelte der Schellenknecht auf festgelegten Routen Almosen für die Siechen.

Leprosenordnung: 1448: Erlaß einer Leprosenordnung durch den Abt von Sankt Marien. 1464: Die Leprosen gaben sich selbst Hausstatuten.

Lepraschau: Ab 1437: Mehrere kurfürstliche Verordnungen, wonach Sankt Jost alleiniger Lepraschauort im Erzstift sein sollte. 1449: Lepraschau durch einen Karmelitermönch und einen Bartscherer. März 1491: Erstattung von Kosten an den Stadtzender wegen drei durchgeführter Besehungen. 1507: Ernennung eines Wundarztes für die Lepraschau durch den Erzbischof von Trier. 1508: Das Untersuchungsgremium bestand aus einem studierten Arzt und 2 Scherern. 1529/30: Erstattung von Kosten des Untersuchungsgremiums wegen 7 durchgeführter Besehungen (siehe ).

Leprosenbruderschaft: Hinterlassenschaften verstorbener Pfründner fielen an die Bruderschaft, ebenso das bei der Aufnahme eingezahlte Geld. Jährlich fand ein zweitägiges Fest der Erzbruderschaft aller Leprosen des Erzstiftes mit Messe und Predigt in Sankt Jost statt. Die Kosten für Prediger und Kerzen trug die Bruderschaft, eine Teilnahme war allen Aussätzigen des Erzstifts vorgeschrieben. 1625: Bittschrift der Leprosen des Niederstiftes bezüglich der Durchführung zukünftiger Bruderschaftstreffen im Koblenzer Leprosorium.

Schließung: Unter französischer Herrschaft wurden aus dem Vermögen aller Wohltätigkeitsanstalten in und um Trier die Vereinigten Hospitien gegründet.
CLEMENS, Weinstadt, S. 306
FROHN, Aussatz (Rheinland), S. 57-62
LAGER, EstrichundSankt Jost, S. 73-88
MATHEUS, Trier, S. 282, 287und343
SCHÜLLER, Aussatz (Koblenz), S. 140
STAERK, Gutleuthäuser, S. 536 f.und542-544

[Martin Uhrmacher: Ortslexikon zur Geschichte der Leprosorien im Rhein-Moselraum. Universität Trier 23.10.2003 (Informationsnetzwerk zur Geschichte des Rhein-Maas-Raumes, )]

Einordnung
Kategorie:
Bau- und Kunstdenkmale / Krankenhäuser /
Zeit:
1448
Epoche:
Gotik

Lage
Geographische Koordinaten (WGS 1984) in Dezimalgrad:
lon: 6.659247
lat: 49.775489
Lagequalität der Koordinaten: Genau
Flurname: Unter Sankt Jost

Internet
http://de.wikipedia.org/wiki/Trier-Biewer

Datenquellen
Gabriela Böhm in: Trierischer Volksfreund vom 19.02.2003

Martin Uhrmacher: Ortslexikon zur Geschichte der Leprosorien im Rhein-Moselraum. Universität Trier 23.10.2003 (Informationsnetzwerk zur Geschichte des Rhein-Maas-Raumes, )

Bildquellen
Bild 1: © Dorothea Witter-Rieder, Konz, 2010.
Bild 2: Internet

Stand
Letzte Bearbeitung: 23.03.2010
Interne ID: 6433
ObjektURL: https://kulturdb.de/einobjekt.php?id=6433
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