Gedenkstein auf dem alten Friedhof

Eisenbahnunglück am 9. Oktober 1918
Jünkerath, Gemeinde Jünkerath Kölner Straße

Beschreibung
Erinnerung an schlimme Zeiten

Wolfgang Kreckler, Feusdorf

Unscheinbar und etwas versteckt in einer Ecke des alten Jünkerather Friedhofes können aufmerksame Besucher einen Gedenkstein entdecken, der mit seiner Inschrift an schlimme Jahre erinnert.

Nur noch wenige wird es geben, die diese Zeit bewusst miterlebt haben oder sich noch daran erinnern können; die Kriegsjahre 1914 bis 1918.

Um so wertvoller sind die Berichte der zu dieser Zeit amtierenden katholischen Geistlichen, Rektor Rohde und Rektor Schroeder. Sie haben zum Teil minuziös in der Pfarrchronik der Pfarrei Sankt. Antonius schriftlich festgehalten, was sich in jenen Jahren ereignet hat. Aus heutiger Sicht besonders interessant, dass sie nicht nur das notierten, was ausschließlich ihren engeren, religiösen Bereich betraf, sondern auch die weltlichen Ereignisse nicht vernachlässigten.

Der folgende Text soll keine umfassende Beschreibung des damaligen Geschehens sein, sondern mehr die Bedeutung der Eisenbahn für Jünkerath in dieser Zeit dokumentieren. Am 3. August 1914 hatte der Erste Weltkrieg begonnen. Jünkerath, gerade erst durch den Bau der Ahrstrecke und deren Weiterführung über Losheim nach Weywertz zu einem zentralen Bahnknotenpunkt gewachsen, erlebte aufregende Tage. Wie kaum ein anderer Ort in der Eifel war Jünkerath durch die von der Bahn hervorgerufene exponierte Stellung und Lage von den neuen Ereignissen betroffen. Schon Tage vor der eigentlichen Kriegserklärung machte sich das nachdrücklich bemerkbar. Am 30. Juli verkehrte der letzte reguläre Personenzug auf der Eifelstrecke. Ab diesem Tag durften keine Zivilisten mehr die Eisenbahn benutzen. Als der Zug gegen 3 1/2 Uhr in Jünkerath einlief, stürzte ein Postbeamter an den Bahnsteig, welcher verkündete, dass Post und Telegraph militärisch geschlossen . . . sei,. . Mit dem 1. August, dem Tag der Mobilmachung, wurden die Eisenbahndienststellen dem Oberbefehl des Militärs unterstellt, womit der Chef der Feldeisenbahner uneingeschränkt über die Dienststellen der Bahn verfügen konnte. Er durfte Strecken für den zivilen Verkehr völlig schließen oder Wagenmaterial beschlagnahmen. Nach den Aufmarschplänen stellten die Bahnverwaltungen 225000 Güterwagen bereit und verschoben zur Beförderung der Mobilmachungszüge 530 schwerere Lokomotiven mit 2400 Bediensteten in die Aufmarschgebiete. Rektor Schroeder hob in diesen Tagen die Bedeutung Jünkeraths besonders hervor. Der hiesige Bahnhofsvorsteher Hamm - Jünkerath ist Bahnhof 1 Klasse - hatte in den Tagen der Mobilmachung etwa 2400 Eisenbahner unter sich, die' aus allen Gegenden Mitteldeutschlands hierhin abkommandiert waren und lobte die exakte Organisation wenn er schrieb: Aber es bleibt zu berücksichtigen, dass in Jünkerath sehr viele Bahnbeamte wohnen, die in ihrer Art im Fahrdienst mobil sind und sich, jeder an seiner Stelle, durch das prachtvolle Ineinander arbeiten sehr verdient gemacht haben um das überraschend pünktliche und exakte Gelingen des Aufmarsches der deutschen Truppen.

Der kleine Ort Jünkerath mit seinem Bahnhof stand im Brennpunkt weltpolitischen Geschehens.

Durch Jünkerath bewegten sich zu Fuß und durch die Eisenbahnverwaltung befördert ungeheure Truppenmassen in ungeahnter Schnelligkeit. Tag für Tag rollten nun allein über die Ahrtalbahn bis zu 30 Truppentransportzüge in Jünkerath an. Hier wurden die Lokomotiven gewechselt, und möglichst ohne großen Aufenthalt ging es weiter in Richtung Belgien an die Front. Die in Jünkerath ansässigen Bahndienststellen und die hier stationierten Eisenbahner hatten Hochkonjunktur. Vor allem die im Fahrdienst tätigen Beamten lernten gleich die Gefahren des Krieges kennen. Hinzu kam, dass nach der Haager Landkriegsordnung feindliche Bahnbeamte wie Kriegsgefangene behandelt werden. Die Belgier waren verständlicherweise nicht gerade erfreut über den Einmarsch der deutschen Soldaten, was auch die Eisenbahner zu spüren bekamen. Der Dienst war stellen- und streckenweise sehr gefährlich, wie natürlich im Feindesland. Lokomotivführer Peter Schmitz befand sich mit seinem Zuge gerade auf dem Bahnhof in Löwen, als dieser von Löwener Bürgern beschossen wurde.

Man schätzt, dass allein über die Ahrtalbahn 40000 bis 50000 Soldaten, etwa 3000 Pferde und 10000 t Material an die Front gebracht wurden. Dazu kamen die Züge, die von Köln her über die Eifelbahn den Ort berührten und ebenfalls Soldaten und militärisches Gerät herantransportierten. In dieser Aufmarschphase erlebte Jünkerath einen folgenschweren Unfall. Ein mit Kanonen, Wagen, Pferden und Soldaten beladener Truppentransportzug konnte auf dem abschüssigen Schmidtheimer Berg von den Bremsern auf den Wagendächern nicht mehr zum Halten gebracht werden. Er raste in den Jünkerather Bahnhof, überfuhr einen Prellbock und kam erst in der Eisengießerei der Gewerkschaft zum Stehen. Trotz dieses schrecklichen Ereignisses muss man feststellen, dass zu Beginn des Krieges der Bahnbetrieb recht planvoll und geordnet verlief. Wie viel anders endete der Krieg für Jünkerath, chaotisch und leidvoll. Mit dem Eingreifen der Amerikaner in den Krieg änderten sich die Kräfteverhältnisse. Doch zunächst konnten die deutschen Truppen die Front halten. Täglich verkehrten Nachschubzüge. Im Februar des Jahres 1918 begann man mit dem Bau von Militärbaracken auf dem Gelände des Güterbahnhofs bis hinauf zur Glaadter Brücke. Sie dienten der Verpflegung von Militärtransporten, die jetzt täglich zweimal an die Front gingen. Tag für Tag wurden bis zu 1500 Mann mit Essen versorgt. Spätestens jetzt wurde die von Rektor Schroeder schon 1914 geäußerte dunkle Vorahnung, Am 2ten August begann eine böse Zeit, bittere Wirklichkeit.

Der Krieg hatte viele arm gemacht. Mittags und abends erschienen an den Militärbaracken auch Bürger aus der Zivilbevölkerung, die [...] Abfälle, Überbleibsel von den Soldaten erbettelten. Das hat auf den sittlichen Zustand der Bevölkerung schlecht eingewirkt. Immer häufiger kam es vor, dass die mit Lebensmitteln beladenen, im Bahnhof abgestellten Waggons, von Soldaten aufgebrochen wurden und diese sich selbst bedienten. Was sie nicht brauchten, gaben sie an die Bevölkerung weiter. Selbst die an sich noch relativ gut gestellten Eisenbahnbeamten bildeten keine Ausnahme mehr, wenn es um das unrechtmäßige Versorgen mit Nahrungsmitteln ging.

Je näher das Ende des Krieges rückte, um so schlimmer gestalteten sich die Verhältnisse. Rektor Schroeder schrieb dazu: Der Unterschied von Mein und Dein verschwand. Im Herbst wurde das Treiben immer toller, so dass am Ende des Krieges beim Plündern von ganzen Lebensmittelzügen Teile der Bevölkerung dorthin zusammenströmten und mitnahmen, was sich nicht wehrte. Das war besonders bedauerlich, als während der Demobilmachung dies Schicksal mehrere Züge ereilte, die hierhin kamen, um die Verpflegung der rückmarschierenden Fronttruppen sicherzustellen.

Diesem unhaltbaren Zustand wollte das Militär bald nicht mehr länger zusehen. So kam es zur Abkommandierung von Fronttruppen, die ab jetzt die Bahnwache übernahmen und die Sicherheit der Lebensmittelversorgung der Soldaten garantieren sollten. Doch selbst diese hatten die Plünderungen der Waggons in den letzten Kriegswochen nicht mehr verhindern können. Erst recht nicht mehr nach dem 11. November, dem Tag der Kapitulation. Die Plünderungen nahmen noch zu und nur drastische Maßnahmen seitens der Bahnwache vermochten, zumindest zeitweise, Abhilfe zu scharfen. Der Feldwebel der Bahnwache ließ gleich an seinem ersten Abend von 20 Mann je drei Schuss in die Luft abgeben, und auch der Kolben hat etliche Arbeit geleistet. Danach ließ der Feldwebel zwischen den Gleisanlagen und der Kyll an die 50 Kisten Büchsenfleisch aufsammeln, die die aufgeschreckten Plünderer zurückgelassen hatten. Nicht ganz ohne Schadenfreude fügte Rektor Schroeder in der Pfarrchronik hinzu: Da ist mehr als einer und eine mitten durch die Kyll heimgelaufen: pudelnass, schadet ihnen nichts, Viel schlimmer noch traf es einige Soldaten, die, kurz vor dem Waffenstillstand der Entente mit Deutschland, in Jünkerath der Tod ereilte. Was war geschehen?

Ein mit deutschen Soldaten besetzter Urlauberzug befand sich, aus Frankreich kommend, auf der Fahrt in Richtung Köln. Solche Sonderzüge mussten in der Fahrplanlage zwischen die planmäßig verkehrenden Züge geschoben werden. So auch am 9. Oktober, einem diesigen und nebligen Herbsttag. Die ganze Nacht hindurch waren die Soldaten mit ihrem Zug schon unterwegs, als in aller Frühe, morgens gegen 7 Uhr, in Jünkerath das Unglück geschah. Bevor der Militärtransport in den Bannhof eingelaufen war, und ohne dass das Jünkerather Stellwerk den Streckenabschnitt Lissendorf-Jünkerath wieder freigegeben hatte, ließ der Fahrdienstleiter in Lissendorf den planmäßigen Personenzug abfahren. In der Krimm, zwischen dem Vor- und Hauptsignal passierte es dann. Der Personenzug prallte auf den haltenden Militärzug. Die Lokomotive bohrte sich in den letzten Wagen. Der letzte Personenwagen schob sich auf den Boden des vorletzten und wurde durch diesen hindurchgedrückt bis zum letzten Abteil. Dort war der Abstand der beiden Waggonbühnen zirka 1,5 Meter. Im vorletzten Wagen war alles zerdrückt. Der Unfall forderte insgesamt 16 Tote, 13 waren beim Aufprall sofort tot, drei starben im Lazarettwagen, der vermutlich im vorderen Teil des Urlauberzuges eingestellt war, um Kriegsverwundete nach Hause zu transportieren. Dazu kamen 16 Schwerverletzte und einige Leichtverletzte. Wie mögen die armen Hinterbliebenen mit dem Schicksal gehadert haben. Vielleicht warteten Frau und Kinder auf ihren Mann und Vater, waren froh, dass er den fürchterlichen Krieg bis jetzt heil überstanden hatte. Und dann das: Der Tod durch einen Unfall, während der Heimkehr auf heimischem Boden, nur einen Monat vor Kriegsende. Die Aufregung war unvorstellbar. Den Pastor rief man erst nach der morgendlichen Messe.

Aber auch er konnte nicht viel tun, den Verletzten Mut zusprechen, ihnen seinen geistlichen Beistand anbieten. Die ersten Stunden verbrachte er so auf der Unglücksstelle. Die Hilflosigkeit der Menschen war groß. Rektor Schroeder schrieb: Erst um 11 Uhr konnte er die Unglücksstelle verlassen. Nun die Kopflosigkeit noch dazu. Um 12 Uhr stand der Zug noch auf der Station, niemand wusste, wohin er fahren sollte.'.

Irgendwann kam dann die Anweisung an die Verantwortlichen vor Ort. Der Zug sollte zurück nach Gerolstein, wo man die Verletzten in das Militärlazarett bringen wollte, um sie dort ärztlich zu versorgen. Unvorstellbar die Reaktion. Gerolstein verweigerte die Annahme der Toten. Sie mussten sofort nach Jünkerath zurückgefahren werden. Die Verletzten ließ man zwei Stunden in unmittelbarer Nähe des Lazaretts stehen, ohne dass sich irgend jemand ihrer annahm. Kein Arzt, kein Wärter kümmerte sich um diese. Die armen Soldaten.

Vier der 16 Toten blieben für immer in Jünkerath. Sie wurden auf dem katholischen Friedhof, oberhalb der Pfarrkirche begraben. Den Rektor hatten die unglücklichen Ereignisse so mitgenommen, dass er während der Grabrede des evangelischen Pfarrers ohnmächtig am Grabe zusammenbrach. Am 11. November 1918 unterschrieb Deutschland im Wald von Compiegne die Kapitulationsurkunde. Der Krieg war zu Ende.

Viele Jahre später, im Jahre 1927, schenkte die Reichsbahndirektion Trier der Gemeinde einen Gedenkstein für die im Krieg bei dem Eisenbahnunglück umgekommenen Soldaten. Er wurde auf dem Friedhof an der Stelle aufgestellt, wo man 9 Jahre vorher die Toten beerdigt hatte. Die Ehrenstätte wurde schlicht und einfach eingeweiht. . .

Einordnung
Kategorie:
Geschichte / Marken und Male / Denkmale
Zeit:
1927
Epoche:
20. Jahrhundert

Lage
Geographische Koordinaten (WGS 1984) in Dezimalgrad:
lon: 6.581429
lat: 50.341696
Lagequalität der Koordinaten: Genau
Flurname: Ortslage

Internet
http://www.jahrbuch-daun.de/VT/hjb1983/hjb1983.84.htm

Datenquellen
Wolfgang Kreckler, Feusdorf im Jahrbuch Kreis Daun, 1995. http://www.jahrbuch-daun.de/VT/hjb1995/hjb1995.119.htm

Bildquellen
Bild 1: © Uwe Widera, 54550 Daun, 2011.
Bild 2: © Uwe Widera, 54550 Daun, 2011.
Bild 3: © Uwe Widera, 54550 Daun, 2011.
Bild 4: © Uwe Widera, 54550 Daun, 2011.
Bild 5: Ansichtskarte von 1918 http://www.bartko-reher-antiquitaeten.de/xxxframe.htm

Stand
Letzte Bearbeitung: 02.12.2012
Interne ID: 8479
ObjektURL: https://kulturdb.de/einobjekt.php?id=8479
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