Sankt Matthias - Turmaufsätze

Trier-Süd, Stadt Trier Matthiasstraße 83 A

Beschreibung
Erhaltungszustand: erhalten

Baumeister: Baumeister: Johann Anton Neurohr
Geboren: 1735
Gestorben: 1.3.1800 in Trier

Aus Boppard nach Trier gekommen heiratet er hier Anna Christine Pauli, eine Verwandte von J. Peter Pauli, dem Trierer Barockbaumeister. Mit ihr hat er elf Kinder. Über das Leben Neurohrs, der am 1.3.1800 mit 65 Jahren in Trier stirbt, ist nichts bekannt.

Auch die Kenntnis der Bauten Neurohrs ist, verglichen mit derjenigen über Bentz' und Wolffs Gebäude, sehr gering. Aufgewachsen im Spätbarock, ist er dennoch einer der ersten bekannten Baumeister in Trier, die in ihren Bauten im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts klassizistische Prinzipien und Formen aufnehmen.

Das früheste bekannte Werk Neurohrs ist das Sankt Nikolaus-Kirchlein in Brohl aus dem Jahr 1766. Neben der stuckierten Decke mit Illusionsmalerei, die noch in barocker Tradition steht, zeigen die breiten Pilaster, auf denen die ebensobreiten Gurtbögen aufsitzen, an den Kämpferkapitellen mit ihrer aufgemalten geometrischen Ornamentik bereits klassizistische Einflüsse.

Sieben Jahre später, im Jahr 1773, entsteht anläßlich eines vom Kurfürsten anberaumten Wettbewerbs Neurohrs Entwurf für die Erweiterung der Trierer Universität. Sein Abrücken vom Barock, das sich in dem Brohler Kirchlein andeutet, macht Neurohr an seinem Wettbewerbsentwurf noch deutlicher:

Der zweigeschossige und neunachsige Bau orientiert sich in seiner Grundstruktur am barocken Bürgerhaus. Die rundbogigen Fenster des Erdgeschosses und die segmentbogigen des Stockwerks besitzen Umrahmungen mit Rocaille-Kartuschen, die Fassade ist horizontal gegliedert durch ein geschoßtrennendes Gurtgesims.

Unter den vorgelegten Entwürfen ist derjenige Neurohrs der einzige, der auf die konventionelle Fassadensymmetrie verzichtet: Die rechten drei Gebäudeachsen erfahren durch breite Lagerfugenrustizierung eine Ausbildung als Risalit. Dieser hat jedoch durch die Qualität seiner Gestaltung die Wertigkeit eines Mittelrisaliten: Das zentrale Beletagefenster ist flankiert von je einem Pilasterpaar, der Balustradenabschluß wird deutlich akzentuiert durch eine prachtvolle, die Mittelachse betonende Wappenkartusche und seitlich aufstehende Figuren. Diese geschickt betonte, deutliche Asymmetrie des Gebäudes wird unterstrichen durch ein einachsiges Portal auf der Gegenseite.

Anders als seine Mitbewerber verzichtet Neurohr auch auf das barocke Mansardendach und wählt stattdessen ein schlichtes Walmdach, welches trotz seiner recht steilen Ausbildung die Gesamttendenz des Gebäudes unterstreicht.

Ebenfalls in den siebziger Jahren errichtet Neurohr für die Abtei Sankt Matthias den Mattheiser Hof in der Brotstraße 20-22 an Stelle eines älteren Gebäudes als barockes Eckgebäude mit siebenachsiger Hauptfassade und einachsigem Mittelrisaliten.

Den Mattheiser Hof verbindet mit Neurohrs Universitätsentwurf der Ansatz einer Abkehr vom Barock. Was Neurohr beim Wettbewerbsentwurf mit einer Zerschlagung der Symmetrie-Doktrin bewirkt, geschieht hier durch die Einführung neuer Formen: Ohrengewände und Hängefeston. Würde nicht der Wettbewerbsbeitrag Neurohrs innovative Tendenz bereits für das Jahr 1773 belegen, müßte die Erbauungszeit des Mattheiser Hofes aufgrund vergleichbarer Louis-seize-Apphkationen um einige Jahre nach hinten korrigiert werden.

Bekanntestes Werk Neurohrs sind seine Turmaufsätze an der Westfassade von Sankt Matthias, die hier zum besseren Verständnis seiner Person ein wenig genauer betrachtet werden sollen, wenngleich sie auch über den Themenkreis dieser Arbeit hinausreichen.

Nach dem Brand der Türme sowie des Dachstuhles der Abteikirche Sankt Matthias im Jahre 1783 fertigt Neurohr einen Entwurf, der anstatt der bisherigen barocken Turmaufsätze einen Turmabschluß mit einer umlaufenden Balustrade vorsieht, die in klassizistischem Geist den Dachansatz kaschiert.

Der Entwurf wird im Jahre 1786 genehmigt durch den kommissarischen Leiter, den Stiftsdekan von Sankt Paulin, Johann Michael von Pidoll. Wenngleich er in der Ausführung modifiziert wird, so ist der Plan dennoch für Trierer Verhältnisse und das ausgehende 18. Jahrhundert vergleichsweise spektakulär: Über ihren modernen Turmabschluß hinaus werden die gesamten freistehenden Turmteile von Neurohr weitgehend originalgetreu erneuert. Irsch bemerkt dazu, daß

[...] der Turm, obwohl am Ende des 18. Jahrhunderts ganz neu errichtet, uns trotzdem noch, abgesehen von wenigen Zusätzen, das Bild seines romanischen Vorgängers sogar in den Einzelheiten -wiedergibt.

Mit einem umlaufenden Triglyphenfries sondert Neurohr den klassizistischen oberen Teil des Turmaufbaues vom bestehenden ab. Die Metopenfelder sind umlaufend mit Rosetten gefüllt, wohingegen die Triglyphen nur an der Westseite vorhanden sind, die anderen Seiten zeigen glatte unbearbeitete Flächen. Im weiteren kombiniert er die antiken Ordnungen sehr frei zu einer eigenen Fantasieordnung mit einer Formenfülle von barocker Dichte: Über dem Triglyphenfries schließt ein Kymation an. Das umlaufende Kranzgesims läßt Neurohr eine vertikale Halbkreisfigur nachzeichnen und schafft so eine Fläche zur Anbringung der Turmuhr.

Im gesamten Bereich der von ihm erneuerten Teile finden sich zeitliche Bezüge zu anderen Bauphasen des Gebäudes: Den romanischen Fenstern der Glockengeschosse hat er beim Wiederaufbau eine gezahnte Laibung gegeben und in die Zwickel zwischen den Fenstern Masken gesetzt. Dies stellt einen Bezug zu seiner eigenen Zeit und zu dem barocken Portalbau her. Die kettenartig ineinander verschlungenen Füllungen der abschließenden Balustrade erinnern ein wenig an die verknoteten Säulenschäfte, wie wir sie in der Vorhalle des Würzburger Domes aus der Zeit um 1230 finden. Sie stellen somit wiederum einen Bezug zu den darunterliegenden romanischen Stockwerken her.

An den Osttürmen stellt der Neurohrsche Obeliskenbesatz zwischen den Vasen auf den Ecken der Balustrade eine Verbindung zu den Renaissancebauteilen an der nördlichen Seite des Westbaues aus der Zeit um 1650 her.

Neurohr versteht es sehr geschickt und mit einem großen Maß an Fantasie, durch Zitieren anderer Bauphasen die alten und neuen Bauteile miteinander zu einer Einheit zu verweben, die in ihrer Dichtheit und Intensität jedoch ihre Entstehung im ausklingenden Barock nicht verleugnen können.

Hierbei schafft er innerhalb des neuen Turmabschlusses durch Kombination von Elementen verschiedener klassischer Ordnungen und deren Ergänzung um eingestreute Mittelalterzitate eine eigene Antikeninterpretation. Irsch sieht hierin bereits eine frühe Form romantischer Gesinnung.

Sein Wohnhaus in der Brückenstraße 18 aus dem Jahre 1797 zeigt auf den ersten Blick barocke Gestaltungsmerkmale: Der Baukörper ist zweigeschossig und fünfachsig mit zentralem Eingang, lagerfugenrustiziertem Erdgeschoss, Mansarddach und Ecklisenen.

Die segmentbogigen Fenster sind mit Ohren und Faszettierung versehen. Die Eingangsachse ist hervorgehoben durch eine Rustizierung im Erdgeschoss und fensterflankierende Lisenen im Stockwerk, die im Drempelbereich ein glattes Gebälk tragen. Eine identische Behandlung der Eingangsachse zeigt Neurohr bereits bei seinem Universitätsentwurf 1773, eine sehr ähnliche am Mattheiser Hof, ebenfalls aus den siebziger Jahren.

Die unbarocke, fehlende Einbeziehung des Dachbereiches in die Risalitbildung ist ein Element, welches sich bereits kurze Zeit später im Klassizismus häufig findet. Erstmals zeigt sie sich am Clementinum 1775.

Die Grundrißgestaltung des Hauses in der Brückenstraße ist ein frühes Beispiel der modernen Konzeption.

Sie zeigt, daß Neurohr bei aller konservativen Grundhaltung pragmatischen Aspekten wie einer sinnvollen Grundrißgestaltung aufgeschlossen gegenübersteht. Seine Bauten zeigen aber auch, daß es ihm bei aller Fantasie und Innovationskraft nicht gelungen ist, sich vollständig von seinen barocken Wurzeln zu lösen.

Weiterhin erbaut er den Chor der Kirche von Wadrill 1766, die Wintersakristei Sankt Paulin 1772, Sankt Maternus in Thörnich (mit P. Müller) 1789/90) sowie das Apostelgrab Sankt Matthias. [1]

Einordnung
Ersteller, Baumeister, Architekt, Künstler:
Neurohr, Johann Anton, Tirol [+30.11.1742].
Kategorie:
Bau- und Kunstdenkmale / Sakralbauten / Klosteranlagen
Zeit:
1786
Epoche:
Klassizismus

Lage
Geographische Koordinaten (WGS 1984) in Dezimalgrad:
lon: 6.631993
lat: 49.738140
Lagequalität der Koordinaten: Genau
Flurname: Ortslage

Internet
http://www.drzimmermann.info/

Datenquellen
[1] Michael Zimmermann: Klassizismus in Trier. Die Stadt und ihre bürgerliche Baukunst zwischen 1768 und 1848. WVT Wissenschaftlicher Verlag Trier, 1997. ISBN 3-88476-280-X

Bildquellen
Bild 1: © Dr. Michael Zimmermann, 1994

Stand
Letzte Bearbeitung: 28.08.2007
Interne ID: 8871
ObjektURL: https://kulturdb.de/einobjekt.php?id=8871
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